Die Credit Suisse führt mit ihren Kunden seit einigen Jahren unabsichtlich ein Experiment durch: Wie reagieren Kunden, wenn ihr Anbieter ein Debakel nach dem anderen produziert? Das Ziel dieses Artikels ist es nicht, die angeschlagene Credit Suisse schlechtzureden. Es soll vielmehr darum gehen, die Perspektive ihrer Kunden zu verstehen.
„Chiasso-Skandal“ vs. aktuelle Vorkommnisse
Der Chiasso-Skandal erschütterte 1977 die damalige Schweizerische Kreditanstalt und das gesamte Schweizer Bankwesen. Der resultierende Verlust von 1.4 Milliarden Franken schien gigantisch. Der CEO (den man damals noch «Präsident der Generaldirektion» nannte), trat zurück, die Bank wurde neu ausgerichtet. Die 1.4 Milliarden Franken von 1977 entsprechen einem aktuellen Geldwert von ziemlich genau dem Doppelten, also 2.8 Milliarden. Klar, die CS ist heute eine viel grössere Bank als die SKA es 1977 war. Dennoch ist es aufschlussreich, die Debakel der letzten Monate dazu in Beziehung zu setzen.
- März 2021: Voraussichtlicher Verlust mit Krediten an Archegos Hedge-Fonds CHF 4.4 Mrd.
- März 2021: Die Verluste rund um die Greensill-Fonds hat die CS noch nicht beziffert. Schätzungen gehen von bis zu CHF 3 Mrd. aus. Die CS wird gemäss Aussagen Ihres CEOs versuchen, einen möglichst grossen Teil der Verluste anderen zuzuschieben, vor allem ihren Kunden, denen sie Greensill-Fonds offenbar als Investition mit wenig Risiko verkauft hat.
- November 2020 York Capital: Die Credit Suisse schreibt 450 Millionen Dollar auf der Beteiligung am Hedge-Fonds-Anbieter York Capital Management ab. Die Credit Suisse hatte die Fonds von York Capital Management ihren Kunden verkauft.
- Juni 2020 Wirecard: Wirecard hatte Guthaben von 1.9 Milliarden vorgetäuscht. Die Credit Suisse war bei dieser Pleite zum Glück nicht mit Krediten involviert, hatte ihren Kunden zuvor aber Wandelanleihen von Wirecard in der Höhe von 900 Millionen Franken verkauft.
- April 2020 Luckin Coffee: Die CS war Konsortialbank beim Börsengang der chinesischen Firma, die ihre Umsätze gefälscht und damit die Investoren betrogen hatte. Konsortialbanken verkaufen die Aktien bei Börsengängen ihren Kunden. Die CS war auch daneben auch mit Krediten involviert.
- Februar 2020: Rücktritt von CEO Tidjane Thiam nach der aufgeflogenen Bespitzelung eigener Mitarbeiter. Finanziell kamen weder die CS noch ihre Kunden direkt zu Schaden. Die Glaubwürdigkeit des Managements aber litt enorm unter diesem Fall, insbesondere weil exponierte Personen wie der CEO und der Präsident des Verwaltungsrats nichts gewusst haben wollten.
Auch in den Jahren davor hat die CS regelmässig für Negativschlagzeilen gesorgt: In Moçambique versickerten Kredite der CS über etwa eine Milliarde Dollar zu einem guten Teil bei fragwürdigen Unternehmen. CS-Mitarbeiter wurden deswegen wegen Betrug und Geldwäscherei verurteilt. Im Steuerstreit mit den USA war es die Credit Suisse, die die mit Abstand höchste Busse (2.6 Mrd. Dollar) bezahlte. Die Liste liesse sich fortsetzen.
Konsequenzen für Kunden und Aktionäre
Um die Verluste zu absorbieren, musste die Credit Suisse mehrere Milliarden an frischem Kapital aufnehmen. Dies freute die Aktionäre nicht, denn die mussten entweder Geld nachschiessen oder zusehen, wie sich ihr Anteil am Unternehmen verwässerte. Die Entwicklung des Aktienkurses der CS spricht denn auch Bände. Nachdem die Höchstwerte in den Jahren 1998, 2000 und 2007 zwischen 85 und 90 Franken lagen, wird die Aktie aktuell noch für etwa 10 Franken gehandelt. Trotz dieser enormen Wertvernichtung gehörten die Manager der CS während dieser Zeit zu den bestbezahlten der Schweiz. Die Aktionäre liessen es geschehen.
Die Kunden der CS haben in vielen der oben erwähnten Fälle beträchtliche Verluste erlitten. Wie gross sie rund um die Greensill-Fonds sein werden, ist noch offen. Der Interessenkonflikt ist unübersehbar: Die Investmentbank beschafft Anlagemöglichkeiten, die institutionellen und privaten Kunden verkauft werden. Teilweise ist auch das Asset Management involviert und verpackt die Anlagen in eigene Produkte. Gegenüber den Kunden lautet die Aussage, für sie würden die besten Produkte neutral ausgewählt. An der Investorenkonferenz rühmen sich die Manager dafür, die Durchdringung der Kundendepots mit eigenen Produkten und damit die Rentabilität weiter gesteigert zu haben.
Die Bank aus der Sicht der Kunden
Kunden möchten eine Bank, die ehrlich kommuniziert, umsichtig und fair agiert und das Wohl der Kunden an erste Stelle stellt. Erhalten haben sie etwas anderes:
- Die Bank hat wiederholt bewiesen, dass sie Risiken nicht adäquat beurteilen kann.
- Die Bank wurde vor Gericht schuldig gesprochen und Mitarbeiter für ihr Verhalten inhaftiert.
- Das Management hat sich gegenseitig bespitzelt.
- Etwa 1’400 sogenannte «Material Risk Takers» erhalten pro Jahr zusammen weit über eine Milliarde Franken. Risk Takers? Es sind Angestellte, sie gehen keinerlei Unternehmerrisiko ein.
- Die Kommunikation gegenüber Kunden und Investoren stimmt nicht überein. Kunden können den Aussagen ihrer Berater nicht vertrauen.
- Die Bank wurde von der Aufsichtsbehörde wiederholt auf knappes Eigenkapital aufmerksam gemacht. Das Eigenkapital der Bank ist relevant für die Sicherheit für die Kundeneinlagen.
VRP Urs Rohner und CEO Thomas Gottstein
Kundenverhalten global
Die Credit Suisse verwaltet weltweit per Ende 2020 Kundenvermögen von CHF 1’512 Mrd. Das Verhalten der Kunden lässt sich zum Teil den veröffentlichten Zahlen entnehmen. Die Geschäftsberichte der Credit Suisse AG weisen in jedem der zehn letzten Jahre Nettoneugelder aus. Insgesamt sind der Credit Suisse über 2011 bis 2020 gut 400 Milliarden Franken mehr zugeflossen sind als sie verloren hat.
Es ist nicht klar, wie viele dieser Gelder die Bank organisch gewonnen hat und wie viele durch Akquisitionen den Weg zur CS gefunden haben. Aber jedenfalls ergibt sich aus der Auswertung der Nettoneugelder kein Hinweis darauf, dass eines der erwähnten Vorkommnisse zu einem massiven Rückzug von Kundengeldern geführt hätte.
Schweizer Privatkunden
Die CS weist die Nettogeldzuflüsse für Privatkunden in der Schweizer Einheit (Swiss Universal Bank, SUB) separat aus. Den Geschäftsberichten der letzten 10 Jahre ist zu entnehmen, dass auch bei Privatkunden der Schweizer Einheit der Bank positive Nettoneugeldzuflüsse vorherrschten. Die Bank hat einzig 2020 mehr Kundengelder verloren als gewonnen. Im Geschäftsbericht wird das mit einem Geldabfluss bei einem einzelnen Superreichen begründet.
Genaue Kundenzahlen veröffentlicht die Bank nicht, es ist also nicht möglich, zu beurteilen, wie viele Kunden die Bank verlassen haben. Aber auch hier gilt: Es gibt keine öffentlich sichtbaren Anzeichen dafür, dass viele Kunden «mit den Füssen abgestimmt» und ihre Gelder abgezogen hätten.
Gründe für die Trägheit der Kunden
Als Beobachter fragt man sich: Wie viele Fehler kann sich eine Bank leisten? Was braucht es, damit sich Kunden einen neuen Anbieter suchen? Natürlich haben wir keine konkreten Angaben dazu, was die CS-Kunden konkret dazu bewegt, ihrer Bank treu zu bleiben.
Üblicherweise sind es folgende Gründe, weshalb sich Kunden nicht bewegen:
- Kunden identifizieren sich oft stärker mit ihrem Berater als mit der Bank. Die Banken haben in den letzten Jahren allerdings viel dafür getan, damit genau das nicht passiert. Denn so besteht die Gefahr, dass die Kunden ihre Berater begleiten, wenn diese sich einen neuen Arbeitgeber suchen.
- Kunden schätzen den Aufwand eines Bankwechsels sehr hoch ein und vor allem haben sie keine Lust, sich damit auseinanderzusetzen. Im Wertschriftengeschäft werden sehr unterschiedliche Gebühren für den Übertrag von Wertpapieren auf eine andere Bank verlangt. Gerade die CS ist diesbezüglich aber sehr kulant mit ihren Kunden und verlangt von Privatpersonen bei der Saldierung des Depots nur die extern anfallenden Kosten. Mühsam sind aber Änderungen von Daueraufträgen, Belastungsermächtigungen und allem, was mit dem Zahlungsverkehr zu tun hat.
- Weit verbreitet ist die Meinung, dass sowieso alle Banken gleich seien und mit einem Wechsel nichts zu gewinnen sei. Aus dieser Überzeugung spricht eine grosse Frustration von Bankkunden, die sich daran gewöhnt haben, schlechte Leistungen zu erhalten. Eng mit diesem Problem verbunden ist die Intransparenz, insbesondere im Private Banking. Es ist den Kunden nicht klar, wo sie eine bessere Behandlung erwarten können.
- Manche Kunden trennen zwischen ihrer eigenen Erfahrungswelt und der «News-Welt». Sie lesen zwar die negative Berichterstattung über ihre Bank, aber leiten daraus keinen Handlungsbedarf für sich selbst ab, da sie z.B. die betroffenen Hedge-Fonds ja nicht in ihren Depots haben.
Fazit und Prognose
FinGuide unterstützt vermögende Privatkunden bei der Suche nach dem besten Vermögensverwalter. Wir haben deshalb viel Erfahrung mit Kunden gesammelt, die sich entschieden haben, ihre Bank zu verlassen. Dabei zeigt sich, dass die meisten Kunden über eine auffallend hohe Frustrationstoleranz verfügen. Es sind meistens mehrere Gründe, die zu einem Wechsel führen. Dabei ist zwischen effektiven Handlungsauslösern und sonstigen Gründen für Unzufriedenheit zu unterscheiden.
- Ein klarer Handlungsauslöser sind dauerhaft schlechte Renditen. Dies erkennen Kunden aber nur, wenn sie sich mit dem Thema ausführlich auseinandersetzen. Den meisten Bankkunden ist dies zu aufwändig und sie merken gar nicht, dass ihr Anbieter für sie keinen Mehrwert generiert.
- Handlungsauslösend sind auch Beraterwechsel. Gerade grosse Banken haben oft höhere Fluktuationsraten in der Kundenberatung. Dies führt zu Frustrationen bei Kunden, die ihre Geschichte immer wieder erzählen müssen.
- In der Tat geben viele Kunden auch an, mit Skandalen und unangemessen hohen Entschädigungen für das Management unzufrieden zu sein. Diese Faktoren verstärken den Wechselentscheid, lösen ihn aber erfahrungsgemäss nicht aus. Das gleiche gilt auch für als zu hoch empfundene Preise.
Diese Erfahrungen bestätigen somit die bei den Nettoneugeldern aufgeführten Beobachtungen, dass auch diverse Skandale und Fehlleistungen die Kunden nicht in grösserem Mass zu einem Bankwechsel bewegen. Es wird ausserordentlich interessant sein, zu beobachten, ob die aktuelle Massierung von Vorfällen bei den Nettoneugeldern 2021 sichtbar sein wird. Die Prognose allerdings lautet: Es muss noch deutlich mehr passieren, damit die Kunden die Credit Suisse im grossen Stil verlassen werden.
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